Als „Rauhnächte“, „Inner-“ oder „Unternächte“ wird in der Volksmythologie die Zeit des Jahreswechsels zwischen dem Ende des Mondkalenders und dem Neuanfang des Sonnenkalenders bezeichnet. Eine Zeit „zwischen“ oder gar „außerhalb“ der Zeit, wie es hieß, der eine Reihe von magischen Eigenschaften zugeschrieben wurde, da sich währenddessen „die Tore zur metaphysischen Welt“ öffnen würden.
Gerade im Alpenraum sind seit Beginn der Neuzeit zahlreiche, streng zu befolgende Regeln und Rituale belegt, um den scheinbar besonderen Herausforderungen dieser – regional variabel festgelegten – Zeitspanne zu begegnen. Aber auch im gesamteuropäischen Kontext scheinen vielerorts diesbezügliche, im magischen Denken verhaftete Traditionen auf. Früheste schriftliche Belege finden sich in den ersten Weltchroniken des ausgehenden 16. Jahrhunderts.
In die Zeit der „Rauhnächte“ fallen mit Advent, Christkönigsfest, Wintersonnenwende, Heilig Abend und Weihnachten, dem Fest der unschuldigen Kinder, Silvester, Neujahr und Dreikönig einige der bedeutendsten traditionellen Fest- und Feiertage des Jahreslaufs. Ihre jeweilige Herkunft ist dicht verwoben mit heidnischen, christlichen oder jüdischen Deutungssystemen und Ritualen, welche oftmals selbst auf antike Vorläufer zurückgehen.
Die Beschäftigung mit dem Themenkomplex der „Innernächte“ bedeutet daher, tief in das kollektive Gedächtnis europäischer Kulturen einzutauchen, zurück zu ihren weitläufigen Wurzeln, bis hin zu den antiken Hochkulturen der Römer, Griechen und Ägypter.
Und mag vieles profan geworden sein und sich das magische schon längst von aufgeklärten Denken abgelöst haben, so findet das dicht verwobene Netz aus Mythen, Sagen, Projektionen, tradierten Erzählungen und Imaginationsfiguren der nahen und fernen Vergangenheit immer noch Berührungspunkte mit der Oberfläche unserer Gegenwart.
Und nicht nur in Europa. Die europäischen Auswanderer der vergangenen Jahrhunderte haben ihren kulturellen Hintergrund jeweils mit in die Neue Welt genommen. Und so kommt es, dass sich beispielsweise Spuren der antiken römischen Festtage der Saturnalien auch heute noch sogar im äußersten Süden der USA finden lassen. Sie stehen nicht nur mit den „Rauhnächten“ und damit mit unserem Weihnachtsfest in Verbindung, sondern begründen mit ihrem karnevalesken Rollentausch auch unsere Faschingsbräuche der Winterauskehr.
Diese Migration der Glaubenssätze und Traditionen – über den halben Erdball und über zwei Jahrtausende hinweg – liegt der Beschäftigung mit den „Rauhnächten“ zugrunde. Und ist das archaische, magisch-mythische Denken, welche den Festen und Bräuchen zugrunde liegt, auch im Begriff sich aufzulösen, in den „Rauhnacht“-Arbeiten wird es archiviert. Auch stellvertretend für so vieles andere, was in unserem kollektiven kulturellen Gedächtnis zwar noch gespeichert ist, aber bereits vom Zeitablauf überholt oder erodiert wurde – wenngleich die zugrundeliegenden Aspekte der Conditio Humana immer noch dieselben sind – über alle Zeiten hinweg.
Eine der Regeln für die Raunacht-Zeit hatte verboten, nach Anbruch der Dunkelheit das Haus zu verlassen, um sich nicht den draußen herrschenden, als bedrohlich geltenden Naturkräften auszusetzen. Die Leinwände und Papiere der Serie zeichnen genau diese auf. Über die Zeit der Raunächte werden sie den Elementen ausgesetzt und im Freien immer wieder und weiter bearbeitet. Spuren von Frost und Schnee, von Temperaturwechseln, Niederschlag und Feuchtigkeit sind eingeschrieben, konserviert und bleiben zu erahnen.
Nach Ablauf der Zeit im Freien werden sie getrocknet und im Atelier zeichnerisch weiterbearbeitet.